Als Übersetzer waren tätig: Ludwig Most (Bremervörde), Günter Müller (Erfurt), Germany
Die heutigen Stadtteile von Stettin, wie Frauendorf [Golęcino], Stolzenhagen [Stołczyn], Scholwin [Skolwin] und Pommerensdorf [Pomorzany], waren im 19. Jahrhundert allesamt Dörfer. In diese Gegenden begab sich der heute bekannte Maler Ludwig Most mit seinem Skizzenbuch und einem Bleistift in der Hand. In den Jahren 1838-40 fertigte er eine Reihe von Zeichnungen an, die das Umland von Stettin dokumentieren. Auf ihnen finden sich zahlreiche Informationen über die ländliche Architektur und die Stadtplanung der damaligen Zeit. Der Künstler hat weder schöne Landschaften noch interessante Genreszenen ausgelassen. Aus diesem Grund sind die Skizzen von Ludwig Most ein äußerst interessantes Dokument einer vergangenen Epoche, wie Ewa Gwiazdowska in ihren Opo-Geschichten schreibt. [J.G.]
Dr. Ewa Gwiazdowska Spaziergang durch die Vororte von Szczecin
EXPEDITION LII
Die heutigen Vororte von Stettin waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch bescheidene Dörfer. Dies dauerte bis etwa zur Mitte des Jahrhunderts, als sich die Industrie zu entwickeln begann. Damals ragte unter den Dörfern nur Frauendorf [Golęcino] heraus, denn dort, auf dem ehemaligen Weinberg, gab es einen hervorragenden Aussichtspunkt auf das Odertal mit der Silhouette von Stettin am Horizont. Wir kennen die Ansichten von Frauendorf bereits aus früheren Geschichten. Most, ein Liebhaber der Völkerkunde, interessierte sich auch für Reisen in weiter entfernte Dörfer: im Norden nach Stolzenhagen und Scholwin und im Süden nach Pommerensdorf. Sicherlich besuchte er auch andere Gebiete, doch sind nur wenige Zeichnungen aus seinen erhaltenen Skizzenbüchern bekannt. Sie wurden im Juni 1838 und im Jahr 1840 erstellt.
Most besucht Pommerensdorf
Most begann seine Reise um Stettin am 11. Juni 1838. Er ging zunächst in das Gebiet südlich der Stadt und erreichte das Dorf Pommerensdorf [Pomorzany]. Er zeichnete eine Teilansicht des Dorfes vom Platz vor der Kirche aus. Die Panoramakomposition dieser Aufnahme erweckt den Eindruck, als hätte sich der Künstler mit einem optischen Instrument beholfen. Da die Zeichnung jedoch “aus der Natur”, also vor Ort, entstanden ist, zeigt sie das räumliche Vorstellungsvermögen von Most. Das wichtigste Motiv der Zeichnung ist eine mittelalterliche Kirche. Der Turm vor dem Kirchenschiff, dessen unterer Teil gotisch ist und der durch Doppelfensterpaare erhellt wird, zog die Aufmerksamkeit Mosts auf sich. Der Turm bestand im Obergeschoss aus Fachwerk und war mit einer bescheidenen Barockkuppel mit Turmspitze versehen. Zusammen mit dem Friedhof, auf dem einige Bäume standen, war die Kirche von einem Ziegelmauer mit einem dreifachen Tor umgeben. Da die Kirche am Rande von höher gelegenem Gelände stand, dokumentierte Most die Verstärkung der Mauer mit Strebepfeilern und das Fundament mit Felsblöcken. Auf der linken Seite des Dorfplatzes befand sich eine Reihe einstöckiger Bauernhäuser, deren Giebel auf den Platz gerichtet waren. Diese Reihe setzte sich den Hang hinunter fort. Auf der rechten Seite, an der Straße, die in die Talsohle der Oder führt, stehen größere Häuser mit Walmdächern. Der Zeichner belebte die Ansicht mit einer bescheidenen Staffage – der Silhouette einer Mutter mit kleinen Kindern, die mit einem Korb in der Hand einkaufen geht.
Mosts Blick auf das Panorama von Pommerensdorf
Von der Anhöhe, auf der das Dorf Pommerensdorf lag, hatte man einen weiten Blick auf das Odertal und die bewaldeten Buchenberge auf der anderen Seite des Tals. Most bewunderte dieses schöne Panorama von der Spitze der Straße, die vom Flussufer zum Dorf führt. Auf einer Skizze beschrieb er, was sich im Tal befand: Wiesen und der Strom der Oder. In der Nahaufnahme links hat er die Kirche dargestellt, die von einer Mauer umgeben ist, welche durch breite steinerne Strebepfeiler verstärkt wird. Die Perspektive dieser Straße ermöglichte es ihm, den Teil des Dorfes zu zeigen, der an der zum Fluss führenden Straße liegt. Diese Entwicklung war unregelmäßig. Einige der Häuser standen mit dem First zur Straße, andere mit dem Giebel. Am Hang unterhalb des Bauernhauses befand sich ein Obstgarten. Am Fuße des Hangs standen die ländlichen Gebäude in Gruppen. Vielleicht waren dies die Häuser der Fischer?
Most im Boot bis Bollinken
Bootsfahrten auf Flüssen und Seen waren im 19. Jahrhundert bei den Städtern in Mode. Die Zeit wurde angenehm und frei verbracht, um sich nach der mühsamen Arbeit innerhalb der Stadtmauern in der Natur zu entspannen. An diese Art der Erholung erinnerte Jerome K. Jerome in seinem humorvollen Roman „Drei Mann in einem Boot“ (den Hund nicht mitgezählt) aus dem Jahr 1889. Most mochte wahrscheinlich auch diese Art der Unterhaltung. Als er 1838 die Flusslandschaft nördlich von Stettin erkundete, fuhr er mit einem Boot zu einem Hafen, der vermutlich unterhalb von Frauendorf lag. In einer früheren Folge schrieb ich, dass die Ansicht der Siedlung Bollinken aus einer Studie in Privatbesitz bekannt ist und eine erste Skizze fehlt. Die Zeichnung, die wir jetzt betrachten, scheint jedoch dieser erste Entwurf eines Bildes mit dem Titel Bollinken auf der Stettiner Stadtansichten-Ausstellung von 1836 zu sein, obwohl das Grün der Bäume fehlt und das Flussufer etwas anders dargestellt ist. Beide Bilder sind ähnlich aufgebaut. Most zeichnete sie vom Wasser aus, mit schrägem Winkel, vom Süden her. Er zeigte ein einstöckiges Gasthaus in Fachwerkbauweise mit einem hohen Walmdach. Tief zwischen den Bäumen erkannte er die Giebelspitze eines Hauses, das mit gekreuzten Zierbrettern-zumeist Pferdeköpfe- versehen war. Am unteren Rand der Karte zeigte er die Silhouetten von drei stehenden Männern mit Hüten. Jeder von ihnen war anders gekleidet, und ihre Kleidung war ein Hinweis auf ihren Beruf. Neben der Silhouette des Mannes auf der rechten Seite sieht man die Umrisse einer weiblichen Figur, ein Hund fehlt.
Panorama von “unter dem Wegweiser”
Wahrscheinlich nach einer Rast vor oder im Gasthaus stieg Most auf einer Landstraße den steilen Hang hinauf. An einem Wegweiser auf der linken Seite hielt er an, um zu überlegen, wohin er als nächstes gehen sollte. Von hier aus konnte er die Gebäude eines Dorfes im Grünen sehen. Weiter hinten erstreckten sich die Flussauen und Sümpfe bis zum Horizont. Auf der rechten Seite ragten die beiden Türme der näher an der Stadt gelegenen Kirchen über den Horizont hinaus. Der kleinere, links, könnte sogar der Glockenturm des Schlosses der pommerschen Herzöge sein.
Straße inmitten der Felder
Most datierte diese Skizze nicht nur, sondern gab auch einen Hinweis auf die Etappe der Reise, auf der er sich befand. Auf dem Umriss einer unbefestigten Straße brachte er die Inschrift an: Auf dem Weg von Stolzenhagen nach Frauendorf / 12 Juni [18]38. Auf der linken Seite zeigte er eine Silhouette der mittelalterlichen Kirche in Stolzenhagen, deren Turm mit einem Barockhelm gekrönt ist. Die Häuser der Dorfbewohner, die an einem zum Odertal hin abfallenden Hang stehen, sind im Grün versteckt. Hinter der Ebene der Felder, die von einer Straße durchquert werden, kann man die charakteristische Landschaft des Tals erkennen, das von Talsenken durchzogen ist, durch die die Bäche in die Oder fließen. Auf den Hügeln stehen hier und da Gebäude. Am Horizont in der Mitte der Skizze hat Most die Buchenhügel markiert, die das Tal von Osten her begrenzen. Rechts, in der Ferne, zeichnete er die Silhouette von Stettin nach.
In der Folge wird eine Wegbeschreibung vorgenommen, die Most von Stolzenhagen nach Scholwin führt. Sein Wanderweg war wahrscheinlich genau in umgekehrter Richtung und führte schließlich von Stolzenhagen auf dem gekennzeichneten Weg nach Frauendorf nahe Stettin.
Friedliches und ruhiges Dorf Stolzenhagen
Nach kurzer Zeit erreichte Most ein kleines Dorf, das am Rande des Odertal-Hochlands liegt. Rund um den Platz, an dem er anhielt, standen Bauernhäuser, deren Giebel auf den Platz gerichtet und von grünen Bäumen und Sträuchern umgeben waren. Einige von ihnen hatten dreieckige, beplankte Giebel, andere wiederum Walmgiebel. Die im Hintergrund stehende Kirche stach zwischen den Gebäuden hervor. Die Silhouette des Kirchenschiffs war durch Bäume verdeckt. Der Künstler konnte nur den Turm sehen. Er zeichnete die genaue Form des Barockhelms mit einer Laterne, die in einer Spitze endet, und beschrieb die Farbe des grauen Daches daneben: grau, möglicherweise mit Schiefer gedeckt.
Most erreicht schnell Scholwin
Most war nur kurz in Stolzenhagen. Im Dorf selbst gab es nichts Interessantes zu sehen, also machte er sich schnell auf den Weg nach Scholwin, das ebenfalls am Rande des Odertals liegt. Zuerst hielt er in der Nähe eines Wegweisers an und schaute sich das ganze Dorf an. Dieses Dorf sah anders aus. Auf der linken Seite der Straße, die in die Talsohle führte, befand sich ein Teich. Dahinter standen niedrige Fachwerkhäuser. Das Dach des ersten Hauses zeichnete sich durch seine Fischgrätenbeplankung des Giebels und die Zierbretter am Giebelfirst aus. Die anderen Häuser, die am Hang gebaut waren, wurden von Weiden verdeckt. Das größere Haus auf der rechten Seite wurde von hohen Bäumen verdeckt. Nur die Wände mit Fenstern sind zu erkennen. Vor diesem Haus hing eine Frau ihre gewaschene Wäsche auf. Auf der Lichtung zwischen den Bäumen skizzierte Most ein Segelboot auf der Oder.
Most beobachtet die Dorfbewohner
Most näherte sich einem Gehöft und beobachtete eine Bauernfamilie hinter einem Zaun. Er achtete auf ihre Kleidung, beschrieb die Farben. Er skizzierte den Mann in einer bis zu den Oberschenkeln hochgekrempelten Hose von hinten und mit einer Weste über seinem Hemd. Seine blaue Mütze hat Most detaillierter gezeichnet. Eine junge Frau in einer Bluse mit weiten Ärmeln und einem langen Rock ist von vorn zu sehen. Die Frau bedeckt ihr Haar mit einem Kopftuch. Neben ihr zeigt der Künstler einen kleinen Jungen in gelber Hose und Jacke, der mit verschränkten Beinen auf dem Boden sitzt. Most dokumentiert auch einen Brunnen, der im Gehöft zu sehen ist. Er bestand oberirdisch aus Balken, die zu einem Viereck zusammengefügt waren. Mittels eines Holzmastes mit Hebearm, an dem ein Seil mit Eimer hing, der in den Brunnen hinabgelassen wurde, konnte das Wasser aus dem Brunnen gezogen werden. Neben dem Brunnen skizzierte er einen Trog und neben dem Hebemast einen Wasserbehälter. Hinter dem Hofbrunnen hat Most ein Haus dargestellt, dessen Giebel zum Hof zeigt. Dessen Aussehen ist typisch. In der Mitte der Wand befindet sich ein Eingang und daneben ein kleines Fenster. Der mit senkrechten Brettern beplankte Giebel wird von den Zierbrettern gekrönt. Zäune an den Seiten des Hauses trennen den Garten und das Tiergehege vom Hof.
Most sieht den Waschfrauen zu
Als er weiter durch das Dorf ging, bemerkte Most Frauen, die in einem der Höfe Wäsche wuschen. Diese Genreszene interessierte ihn sehr, und so verewigte er sie ziemlich genau. Im Vordergrund zeichnete er Waschfrauen, die auf gegenüberliegenden Seiten eines aus Balken gefertigten Beckens in der Mitte des Hofes stehen. Eine Frau wäscht und beugt sich über das Wasser. Neben ihr liegt ein Waschzuber auf dem Boden. Hinter ihr auf einer Bank liegt die Seife. Die andere Bäuerin steht aufrecht und reibt zur Waschvorbereitung ihre schmutzigen Kleider in den Händen mit Seife ein. Beide haben ihre Kleidung mit langen, weiten Schürzen verhüllt. Im nahen Vordergrund spielen drei auf dem Boden sitzende Kinder unterschiedlichen Alters. Im Hintergrund, hinter einem niedrigen Zaun, befindet sich eine strohgedeckte Haus und ein niedrigeres landwirtschaftliches Gebäude.
Most blickt auf die Kirche in Scholwin
Most erreicht schließlich eine bescheidene Kirche, die in der Mitte des Dorfplatzes, dem so genannten Dorfanger stand. Er zeichnete das historische Gebäude von der Südseite, an die sich zwei Anbauten anschlossen. Er markierte den Eingang und ein kleines Fenster in der Südwand des Kirchenschiffs. Seine Aufmerksamkeit galt eher dem Turm, der mit einem barocken Helm mit Laterne und Turmspitze bedeckt war. Er beschrieb ihn und präsentierte zusätzlich eine separate Version des Helms mit anderen Proportionen. Schlug er vor, den Helm durch einen seiner Meinung nach harmonischeren Helm zu ersetzen? Er ergänzte die Silhouette der Kirche mit Umrissen von Bäumen. Die Begrünung hat wahrscheinlich damals wie heute den ästhetischen Wert des Gebäudes erhöht.
Most blickt auf ein Dorf
Most dokumentierte erst im September 1840 eine weitere Exkursion in die Gegend um Stettin. Es ist nicht genau bekannt, welche Gebiete er besuchte. Seine Zeichnung zeigt ein Fragment eines typischen Odertalhangs. Es handelt sich um den steilen Hang in einer Geländeneigung, durch die ein Bach vom Oberland zum Fluss fließt. Die Hochebene oberhalb des Odertals wurde von vielen solchen Bächen durchzogen, an denen Straßen gebaut wurden. Heute sind diese Straßen asphaltiert, und an einigen Stellen ist das alte Kopfsteinpflaster erhalten geblieben. Die Spuren der Bäche sind längst verschwunden. Most war beeindruckt von der Reihe alter Hütten am oberen Rand dieses steil abfallenden Geländes. Wahrscheinlich gefiel ihm die interessante Gestaltung der Giebel der Bauernhäuser. Die Anordnung der Gebäude war abwechslungsreich und wurde durch das Grün der Bäume und Sträucher, die um die Häuser herum wuchsen, verschönert. Eine idyllische Szene bereichert die Landschaft: ein Mann sitzt auf einer Bank an der Mauer und hält zwei kleine Kinder im Arm. Eine von ihnen trug ein blaues Kleid, und das Kleid der anderen war mit einem weißen Schürze verziert. Der Mann trug eine dunkle Weste und eine grüne Mütze. Ist dies nicht eine großartige Genreszene, die unseren Vorstellungen von der Rolle des Mannes in der Familie des 19. Jahrhunderts widerspricht?
Most betrachtet die Schönheit der ländlichen Landschaft
Most, inspiriert von der Schönheit und Einfachheit des Grundrisses eines Dorfes “im Grünen”, trennte einen wichtigen Teil von der Skizze der Ansicht eines Dorfes am steilen Hang ab und behandelte ihn als Thema eines separaten Werkes. Er stellte die Symmetrie, die durch die geometrischen Formen der dreieckigen Giebel der Häuser entsteht, den Motiven der unregelmäßigen Kronen von Bäumen und Sträuchern und den glatten, geschwungenen Linien des Bodens gegenüber. Diese künstlich und künstlerisch bearbeitete Landschaft zeugt von Mosts perfektem Gespür für das Wesen der natürlichen Formen und die ästhetische Harmonie, die dem Nebeneinander verschiedener Formen innewohnt.
Als Übersetzer waren tätig: Ludwig Most (Bremervörde), Günter Müller (Erfurt), Germany
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