Als Übersetzer waren tätig: Ludwig Most (Bremervörde), Günter Müller (Erfurt), Germany
Liebe Leserinnen und Leser! Hier am ersten Tag des Sommers 2021 erhalten wir ein wunderbares Geschenk von Frau Dr. Ewa Gwiazdowska. Die LIV Expedition ist eine Beschreibung des Aufenthalts des Malers an der Ostsee, in einem bei polnischen Touristen beliebten Badeort. Wie sich herausstellte, “(…) sind die Zeichnungen von Most mehrere Jahrzehnte älter als die Postkarten von Kolberg. Sie dokumentieren Landschaften, die längst der Vergangenheit angehören.” Dort, wo im März 1945 der Zugang Polens an das Meer stattfand, malte 85 Jahre zuvor unser deutscher Künstler, der mit dem Eifer eines Dokumentaristen Bilder von Orten für uns aufbewahrt hat, die wir heute in einer völlig anderen Fassung sehen können. [J.G.]
Dr. Ewa Gwiazdowska
Kolberg – ein Spaziergang ins Unbekannte in der Gesellschaft von Most
Expedition LIV
Most besuchte Kolberg in den 1860er Jahren mehrmals. Er hatte nicht nur vor, Porträts der Greifen-Herzöge zu zeichnen. Im Sommer 1860 kam er zum ersten Mal nach Kolberg, um sich auszuruhen und spazieren zu gehen. Natürlich vergaß er nicht, ein Skizzenbuch mit einem weichen Bleistift mit auf die Reise zu nehmen. Schließlich war es damals üblich, dass Künstler die interessanten Sehenswürdigkeiten, denen sie begegneten, zeichneten. Nur wenige hatten noch schwere und unhandliche Kameras, und ein kleines Album mit leeren Blättern ließ sich leicht in eine Tasche stecken. Die Beweglichkeit wurde dadurch nicht beeinträchtigt. Als Most in Kolberg war, hat er die Stadt selbst nicht besucht. Er interessierte sich für die Umgebung. Er unternahm Spaziergänge am Rande der Stadt und entlang des Flusses Persante in Richtung Meer. Diese Ansichten wurden in einem nicht nummerierten Skizzenbuch festgehalten. Die Nummer XIV konnte dank der im Staatsarchiv in Stettin durchgeführten
Dokumentenrecherche ermittelt werden. Die Zeichnungen Mosts sind mehrere Jahrzehnte älter als die Postkarten von Kolberg und dokumentieren Landschaften, die längst der Vergangenheit angehören.
Was für schöne Blumenbeete
An einem sonnigen Julitag war Most außerhalb der Stadt unterwegs. Er nahm die Schönheit der Umgebung in sich auf, bewunderte die gepflegten, bunten Blumenbeete und die Ziersträucher, die entlang der Parkalleen wuchsen. Am anderen Ufer der Persante entdeckte er hinter einer Baumreihe die Lager- und Werftbereiche, die sich am Fuße eines niedrigen, bewaldeten Hügels im Grünen versteckten. Es handelte sich um die Werftanlagen mit den dort lagernden Baumaterialien und den Fachwerk- und Backsteingebäuden. Auf der linken Seite sah Most das Lager der Firma Herman. Zwischen den Baumkronen konnte er einen im Bau befindlichen Schiffsrumpf sehen.
Ein Besuch in der Werft
Noch am selben Tag beschloss Most, sich die Werft genauer anzusehen. Er ging zum Flussufer und hielt in der Nähe eines im Bau befindlichen Schiffes an. Im Jahr 1860 wurden auf der Werft in Kolberg noch Schiffe auf traditionelle Weise gebaut – auf einer Plattform aus am Flussufer aufgestellten Balken. Most beobachtete die letzte Bauphase, als der Rumpf bereits mit dem Heck der Persante zugewandt war. Das Schiff hielt sein Gleichgewicht dank der Gerüste und zahlreicher Balken auf beiden Seiten, die diese stützten. Im Inneren des Schiffskörpers kletterten die Bauarbeiter auf eine Rampe, die vor der Öffnung am Bug angebracht war. Sie arbeiteten bereits auf dem Oberdeck und errichteten Aufbauten und die notwendige Ausrüstung. Mehrere Bootsbauer waren mit der Fertigstellung des Hecks beschäftigt. Most dokumentierte auch die Gebäude in der Umgebung der Stadt. Links vom Heck des Schiffes taucht in der Ferne die riesige Silhouette der Marien-Kathedrale auf. Auf der anderen Flussseite kann man eine Baustelle sehen, auf der ein Schiffsrumpf entsteht. Daneben gibt es einen großen Getreidespeicher, ein Teerlager und weitere Gebäude.
Most dokumentiert die Kolberg-Werft
Most machte bald einen weiteren Spaziergang am Ufer der Persante. Diesmal beschloss er, den Bestand des Werftgeländes aus nächster Nähe zu dokumentieren. Er stand auf dem Kai nördlich des Beckens, das später als Fischereihafen bekannt wurde. Von dort aus konnte er genau den mit dicht gesetzten Pfählen befestigten Kai sehen. Am Ufer stand ein zweistöckiges Teerlager mit einem Wimpel auf dem Dach, der Hafenkran befand sich auf der linken Seite des Lagers. Rechts vom Lagerhaus stellte Most den Bau eines Schiffsrumpfes in der Anfangsphase dar, dahinter Lagergebäude und ein hohen Getreidespeicher mit einem freistehenden Kran. Der Getreidespeicher wurde wahrscheinlich im 18. Jahrhundert erbaut, wie man an seinem Giebel erkennen kann. In der Ferne auf der rechten Seite skizzierte Most die Vorstadtgebäude. Es handelte sich um eine Reihe kleiner, einstöckiger Häuser, die von Gärten umgeben waren. In der Nahaufnahme skizzierte er mehrere vertäute Boote und einen Angler.
Rast am Fluss Persante
Am nächsten Tag beschloss Most, sich auszuruhen und die Eichenallee an der Persante entlang zu gehen. Dieses Gebiet wurde von Geschäftsleuten bewohnt. Auf den Rasenflächen zwischen den Bäumen lagerten sie Holz und alte Boote. Diese verlassenen Boote wurden zu einem Ort für Kinderspiele. Das Flussufer wurde nach und nach verstärkt und mit Kränen ausgestattet, um den Hafenverkehr zu bewältigen. Auf dem Fluss skizzierte Most ein Fischerboot, das unter vollen Segeln auf das Meer zusteuerte.
Most blickt vom Wellenbrecher auf Kolberg
Most machte einen weiteren Spaziergang entlang des Wellenbrechers in Richtung Meer. Er stand auf einem Steinwall in einer Kurve und blickte von dort aus über die Stadt. Er nutzte diese Wanderung, um den Wellenbrecher zu studieren, der das Wasser des Flusses Persante ins Meer leitet und dem sicheren Schiffsverkehr zwischen dem Hafen von Kolberg und der Ostsee dient. In einer Nahaufnahme zeigt er einen großen Schienenkran, der auf einem mit Felsbrocken befestigten Wall steht. Am Beginn des Wellenbrechers zeichnete Most das Fort Münde aus dem 18. Jahrhundert (1770-1774). Das Fort war damals viel niedriger als heute, da der Leuchtturm erst um die Jahrhundertwende zum 19. Jahrhundert entstand. Die Altstadt ist am Horizont hinter dem Wald versteckt. Von seiner Lage zeugt das über dem Wald aufragende zweitürmige Westmassiv der Marienkathedrale – der Blickfang von Kolberg.
Erinnerung an den Sommer
Im darauffolgenden Jahr fuhr Most im Herbst nach Kolberg. Vielleicht wollte er sehen, wie die Umgebung zu dieser Jahreszeit aussieht. Das Wetter muss ungünstig gewesen sein, denn dieser Aufenthalt im Oktober war nur kurz. Aber es bot sich die Gelegenheit, die Rümpfe von Booten, die nach der Saison an Land trocknen, genauer zu betrachten. Most fertigte dann eine Konturskizze und eine Studie einer Gruppe von Booten an. Die symmetrische Anordnung der liegenden Boote, die Harmonie der Formen ihrer aus überlappenden Planken gebauten Seitenwände sind ein nautischer Bereich, der auch heute noch die Blicke der Liebhaber anlockt. Auch Most war von einer Reihe solcher Boote begeistert. Sie trockneten nördlich des Standortes der Werft am rechten Ufer. Der Ort, an dem sie lagen, wird durch den Umriss eines Getreidespeichers mit einer barocken Giebelform im Hintergrund angedeutet.
Zurück zur Werft
Als Most nach drei Jahren zu seinem alten Weg am Ufer des Persante-Flusses zurückkehrte, war er sicher erstaunt. Die Werft hatte sich deutlich weiterentwickelt. Der Künstler sah zwei beeindruckende Schiffsrümpfe auf der Baustelle. Einer davon war bereits kurz vor der Fertigstellung. Auf der anderen Seite wurden die Vorbereitungen für den Bau des Oberdecks getroffen. In der Tiefe des Platzes stand ein langes, zweistöckiges Gebäude, vermutlich ein Verwaltungs- und Wirtschaftsgebäude. Rechts von diesem Gebäude skizzierte Most kleine Backsteinbauten. Hinter der Werft-Anlage stand noch die Wand aus dichtem Wald, die den Hügel überwucherte.
Die Genauigkeit eines Dokumentaristen
Most wäre nicht er selbst gewesen, wenn er nicht versucht hätte, das Gesamtbild der Werft zu erfassen. Deshalb widmete er die zweite, undatierte Skizze den Häusern, die links von der Schiffsbaustelle stehen. Dort gab es zwei Gebäude. Der hölzerne, einstöckiger Bau mit dem charakteristischen Mansarddach war wahrscheinlich ein Lagerhaus. Zwischen dessen Ecke und der Wasserlinie wurde ein Zaun errichtet, um den Hof vor Außenstehenden zu schützen. Das zweite, geräumige, zweistöckige Haus hatte ein Erdgeschoss aus Ziegeln, ein Obergeschoss aus Brettern und ein Satteldach. Der Teil des Gebäudes, der näher am Wasser lag, beherbergte das Lager. Der andere Teil des Hauses, der durch zwei Fensterreihen erhellt wird, war vermutlich ein Büroraum.
Ludwig Mosts ältester Sohn Karl Hermann, von Beruf Schiffsbaumeister und später auch noch Landwirt, war nach seiner Berufsausbildung in Stettin bis zu seinem frühen Lebensende mit 44 Jahren immer in Kolberg ansässig und dort beruflich tätig. Seine Kinder, Ludwig Mosts Enkelkinder, sind alle dort geboren. Der Besuch des Sohnes, der Schwiegertochter und seiner Enkelkinder war die entscheidende Triebfeder für die häufigen Most-Reisen nach Kolberg. Nach dem frühen Tod seines Sohnes hat Most die ohne einen Familienernährer dann dort befindliche Familie nach Stettin zurückgeholt und sich fürsorglich um sie gesorgt.
Als Übersetzer waren tätig: Ludwig Most (Bremervörde), Günter Müller (Erfurt), Germany
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