Als Übersetzer waren tätig: Ludwig Most (Bremervörde), Günter Müller (Erfurt), Germany
“Bäume sterben stehend” (1949) ist der Titel eines der berühmtesten Stücke von Alejandro Casona (1900-1965), spanischer Dramatiker und Freund von Federico Garcia Lorca. Dieser Satz kam mir spontan in den Sinn, als ich eine weitere Folge der Opo-Geschichte von Dr. Ewa Gwiazdowska las. Der Autor setzt das Thema der Natur im Werk von Ludwig Most fort, das bereits früher aufgegriffen wurde. Der Künstler Most widmete einen Großteil seiner Aufmerksamkeit den Bäumen. Er fertigte zahlreiche Skizzen und Zeichnungen von ihnen an. Mächtig und schlank, üppig und ohne Grün, schön und verstümmelt – sie alle faszinierten den Maler mit ihrem natürlichen Formenreichtum, vor allem einige Arten, wie die Eichen. Die Natur in der Malerei hatte viele symbolische Funktionen, die es zu kennen gilt. Wahrscheinlich hat jeder von uns, der einige Zeit in der Natur verbringt, seine Lieblingsbaumarten und viele persönliche Gedanken, die mit ihnen verbunden sind, wie zum Beispiel die Tatsache, dass Bäume wirklich im Stehen sterben. [J.G.]
Dr. Ewa Gwiazdowska Auf dem Weg zu Most
Bäume … “mit dem Auge und dem Auge”
Expedition LXIII
Das von Carl Gustav Carus gemalte Porträt eines Spätherbstbaums ähnelt dem von Most gezeichneten winterlichen Walnussbaum, der in der vorangegangenen Folge gezeigt wurde. Die Bedeutung der beiden Kompositionen ist jedoch unterschiedlich. Die Romantiker, zu denen Carus gehörte, erklärten in der Darstellung der Natur die philosophischen, existenziellen Wahrheiten des Lebens auf bildhafte Weise. Die verbalen Äußerungen dieser Künstler zeugen davon. Most hat seine Überlegungen nicht aufgeschrieben oder sie sind nicht erhalten geblieben. Wir können seine Kompositionen als realistisch betrachten, sie erzählen uns, was der Künstler um sich herum sah. Wir erinnern uns, dass er ein Vertreter des Biedermeier war – des bürgerlichen Realismus. Aber auch in seinen Skizzen spürt man den Einfluss des Symbolismus, den die Künstler früherer Generationen der Natur verliehen haben.
Die Kraft eines jahrhundertealten Baumstamms
Der Maitag des Jahres 1850 war für Most ein Anlass, einen Ausflug in den Wald zu machen. Vielleicht sah er am Rande der Buchheide nahe Hökendorf (Klęskowo) einen alten Baum. Der dicke Stamm war von nach unten fallenden Ästen umgeben. Aus diesem niedrigen Stamm wuchsen zwei riesige Äste. Die enorme Größe des Baumes hat den Maler stark beeindruckt. Deshalb hat er dieses Symbol für die Kraft der Natur in seiner Zeichnung festgehalten. Damals präsentierte Most das Laub bereits auf eine eher synthetische Weise. Daher ist es ohne die Erklärung schwierig zu entscheiden, welche Art von Baum er dokumentiert hat. Vielleicht war es eine robuste Buche.
Eindrücke von der Insel Wollin
Most hat stattliche, ausladende Eichen abgebildet. Denn die Eiche, ein Attribut des römischen Gottes Jupiter, symbolisierte nicht nur die Macht der Natur, sondern auch die der Menschen, die um sie wohnten. Auf den Köpfen der Kriegshelden und Befehlshaber der siegreichen Armeen wurde ein Eichenkranz niedergelegt. Die Eiche war auch ein Zeichen für Langlebigkeit und schützte vor bösen Mächten. In der Landschaft der Insel Wollin hat Most solche gewaltigen Eichen gefunden. Der Baum schützt vor Stürmen und scheint eine niedrige Fischerhütte, die am Rande des damaligen Misdroy steht, vor anderem Unglück zu bewahren.
Schöner Schatten einer Eichenallee
Erinnern wir uns noch einmal an den Blick auf die Eichenallee in Kolberg, die am Ufer der Persante entlangführt. Sie bestand aus prächtigen Bäumen, die einige Jahrzehnte zuvor, wahrscheinlich um 1820, nach dem Ende der napoleonischen Kriege gepflanzt worden waren. Ihre breiten Kronen, die mit dichtem Laub bedeckt sind, spenden einem Spaziergänger an einem heißen Julitag angenehmen Schatten. Die prächtige Allee war auch ein schöner Kontrast zur Stadt, in deren engen, von Mietshäusern gesäumten Gassen wahrscheinlich kein Platz für Grünflächen war.
Träume unter den Kiefern
Es lohnt sich auch, in das Ostseebad Heringsdorf zurückzukehren, wo Most im Juli 1868 verweilte. Die charakteristische Silhouette einer robusten Kiefer, die am Rande einer hohen Klippe am Meer wächst, ermutigt uns dazu. Vielleicht hat Most die Aufmerksamkeit auf diesen Baum gelenkt, weil seine schirmförmige Krone einer Pinie ähnelte, einer für die italienische Landschaft typischen Kiefernart. Most ist nicht in Italien gewesen. Wenn er jedoch mit geschlossenen Augen unter einer solchen Kiefer an der Ostseeküste lag, hätte er von einem Urlaub in Italien träumen können.
Mysteriöser Wald
Eine eher ungewöhnliche Zeichnung von Most ist eine Konturskizze mit Blick auf ein Walddickicht. Das Werk zeigt nur die Stämme der hohen Bäume, deren Kronen nicht sichtbar sind. Nur einzelne, niedrig wachsende, belaubte Zweige weisen auf eine andere Jahreszeit als den Winter hin. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil schon der Anblick einer Ansammlung kahler Stämme ein Gefühl von Kälte hervorruft. Diese Skizze ist wahrscheinlich im Buchenwald entstanden. Dort herrscht Dunkelheit unter den dicht stehenden hohen Baumstämmen. Die buschigen Kronen der dicht beieinander stehenden Bäume bilden ein Gewölbe, das so wenig Licht durchlässt, dass unter den Bäumen kaum Grün zu finden ist. Mosts Wahl von Waldstämmen als Motiv für seine Zeichnung erinnert an die Gemälde des Symbolisten Gustav Klimt (1862-1918) viele Jahre später. Der österreichische Maler und Grafiker wurde zu einer Zeit geboren, als Most die Seiten seines 14. Skizzenbuchs mit Landschaften füllte.
Fröhlicher Wanderer
An ein ganz anderes Bild des Waldes von Most erinnert ein 1872 entstandenes Genrebild. Diese Komposition kann als Vorläufer der “Wandervögel”-Bewegung gesehen werden. Junge Menschen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert brachten ihren Patriotismus zum Ausdruck, indem sie sorglos durch ihr Heimatland zogen und ihre Freiheit in der Natur genossen. Der junge Mann, der Protagonist des Gemäldes von Most, geht eifrig einen Waldweg entlang und grüßt mit erhobenem Hut eine Frau mit einem Kind, die am Wegesrand die Früchte der Natur sammelt. Der umliegende Wald wird von der Frühlingssonne beleuchtet. Sanfte Schatten werfen sich auf die Ränder des mit Kräutern und dicken Moospolstern bewachsenen Weges. Das Kostüm des Jungen und seine Ausrüstung, darunter ein zusammengefalteter Hocker, der als Spazierstock dient, zeugen davon, dass es sich um einen jungen Maler handelt, der “für ein Motiv” in die Natur geht. Most erinnerte an alte Zeiten und platzierte in der Komposition eine Künstlerfigur, die der linken Figur auf dem Gemälde „Bei dem Stellmacher“ von 1830 ähnelt.
Ein geschultes Auge kann schneller sehen
Als der Künstler seine Zeichentechnik verbesserte, stellte Most die Bäume immer abstrakter dar. Er vereinfachte die Silhouette der Pflanze, indem er den Stamm und die Äste mit mehreren Linien und die Form der Krone mit einem Umriss markierte. Er bedeckte die Krone mit einem Bündel von parallelen Linien oder Zickzacklinien, um das üppige Laub zu markieren. Dieses Schema ist in den Landschaften Pommerns sichtbar. Trotz dieser sehr skizzenhaften Behandlung war Most in der Lage, das allgemeine Aussehen eines Baumes einer bestimmten Art, sein “Wesen”, darzustellen.
Nackte Natur
Manchmal kam es vor, dass Most nur ein Fragment eines Baumes zeichnete, das er als Motiv behandelte. Eine solche Zeichnung ist eine plastische und genaue Studie eines Zweiges ohne Blätter. Vielleicht war der Künstler von der seltsamen Form dieses Naturprodukts fasziniert, dessen Äste in verschiedene Richtungen gebogen sind. Dieser Zweig mag Most an einen verkrüppelten Mann erinnert haben, der des Mitgefühls bedurfte. Neben der Zeichnung notierte er eine Erklärung, wie das Motiv in das Bild eingefügt werden sollte.
Die Konvention hält fest
Das Motiv eines Baumes wird seit Jahrhunderten in Landschaften als Kulisse verwendet. Durch die Platzierung von Baumsilhouetten an den seitlichen Rändern der Komposition im Vordergrund wurde die Tiefe der dargestellten Szene hervorgehoben. Dies war eine typisch “akademische” Art, Bäume zu behandeln. Nur einige Maler konnten auf ein solches “Requisit” verzichten oder gaben es bewusst auf. Erst im 19. Jahrhundert begannen die Künstler, systematisch auf Baumkulissen zu verzichten. Manchmal wurden sie jedoch verwendet, wie die Zeichnung von Most zeigt, die die Werft in Kolberg abbildet. Rechts skizzierte der Künstler die Zweige einer Eiche, die sich malerisch über die Wirtschaftsgebäude der Werft erheben. Sie bilden ein typisches Backstage-Motiv.
Die Natur konkurriert mit der Geschichte
Im 19. Jahrhundert wurden Landschaftskompositionen beim kunstinteressierten Publikum sehr beliebt. Große figürliche Werke (allegorisch, mythologisch, religiös, historisch) wurden hauptsächlich von Institutionen oder Ämtern in Auftrag gegeben. Intimere Landschaften konnten in nicht sehr geräumigen und nicht so reichen privaten Innenräumen aufgehängt werden. Ein interessantes Beispiel ist der Blick auf den Dresdner Vorstadtwald, den so genannten Großen Garten, der einst den Herrschern als Jagdrevier diente.
Die meisten Maler gehörten zu einer Gruppe von Künstlern, die hauptsächlich im Auftrag bürgerlicher Kreise arbeiteten, aber auch Adelige und Herrscher erwarben Landschaften. Der Maler aus Stettin war einer von vielen Künstlern, der in seinen Werken Bäume darstellte.
Als Übersetzer waren tätig: Ludwig Most (Bremervörde), Günter Müller (Erfurt), Germany
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