Als Übersetzer waren tätig: Ludwig Most (Bremervörde), Günter Müller (Erfurt), Germany
“Ruhiges Dorf, fröhliches Dorf! / Welche Stimme deiner Herrlichkeit wird Gehör finden? / Wem gehört der Feiertag, wem nutzt er? / Vielleicht kann man gleich alles nennen?” So lobt die 12. Jungfrau im Johannislied von Jan Kochanowski das Leben auf dem Land und seine Vorteile. Jemand wird fragen, und was hat unser Dichter mit Ludwig Most gemeinsam? Es stellt sich heraus, dass beide mit dem Thema Dorf sehr vertraut waren. Einmal zeigen uns Worte ein Bild des ehemaligen Dorfes, und das andere Mal legen Bleistift und Pinsel Zeugnis vom Charme des Dorfes am Weißensee ab. Und in einem sind sich beide einig: Dieser Ort ist ein Gebiet, in dem sich ein Mensch glücklich fühlen kann. In der nächsten Episode von Opo-news Dr. Ewa Gwiazdowska werden wir dank des Künstlers eine außergewöhnliche Reise in ein solches Dorf unternehmen! [J.G.]
Dr. Ewa Gwiazdowska Auf den Spuren von Most
Abenteuer mit Geschichte Umgebung von Berlin
EXPEDITION XXXXII
Lernzeit
Ob Ludwig Most als Teenager gerne wanderte, bleibt abzuwarten. Seine frühesten bekannten Skizzen sind mit dem Beginn seines künstlerischen Studiums in Berlin verbunden. Er begann sein Erwachsenenleben 1825 als Achtzehnjähriger. Zeichnungen aus dieser Zeit wirken bescheiden. Dank ihnen können wir jedoch ein ungewöhnliches historisches Abenteuer mit Most erleben. Wer hätte gedacht, dass sich hinter dem Namen Weißensee eine außergewöhnliche Zeitreise verbirgt. Und so ist es auch.
Ruhiges Dorf am See
Das Dorf am Weissensee wurde unter gleichem Namen um 1230 durch die nach Osten führende Handelsstraße in Richtung Oderübergang gegründet. Anfangs war es ein brandenburgisches Domänengut, also den dortigen Herrschern gehörend. Von ca. 1540 bis 1880 war es ein Rittergut. Erster Gutsherr war Thomas von Blankenfelde. Ludwig Most konnte 1825 noch das ehemalige Dorf darstellen. Seine Zeichnung dokumentiert kleine Bauernhäuser, die im Grünen versteckt sind und entlang der Straße stehen. Über den Baumkronen erhebt sich nur das obere, neugotische Geschoss des Kirchturms. Neben den Pappeln ragen die Flügel einer Windmühle in den Himmel.
Vom Dorf in eine große Stadt
1920 lag der Ort innerhalb der Verwaltungsgrenzen Berlins. Zu dieser Zeit begann es sich intensiv zu entwickeln und verwandelte sich in ein Stadtquartier. Weißensee war seit 1913 auch eine Filmstadt, weil damals Filmstudios in Betrieb gingen. Hier wurde unter anderem der berühmte expressionistische Film Das Cabinet des Dr. Caligari unter der Regie von Robert Wiene gedreht. Bereits 1928 war allerdings die Filmstadtära von Weißensee vorbei, da mit den neu gebauten Studios der im Westen Berlins gelegenen Stadt Babelsberg die gesamte deutsche Filmindustrie sich dort konzentrierte. Auf der aktuellen Luftaufnahme an der Stelle des ehemaligen Dorfes können Sie die Großstadtgebäude sehen, die den See umgeben.
Zwei Gesichter von Weißensee
Derzeit ist Weißensee weitestgehend geprägt von der Bausubstanz, die vom Ende des neunzehnten bis in die dreißiger Jahre zwanzigsten Jahrhundert entstanden ist – großstädtische Gebäude an breiten Verkehrsadern und ein ruhiger Wohnteil am See. Entlang des Ufers des Sees wurde ein Strand angelegt, der im Sommer viele Menschen anzieht. In Anlehnung an die Filmtradition wurde in dem Haus am See, in dem Bertolt Brecht in den Jahren 1949-1953 lebte, ein Kulturzentrum eingerichtet. Das Brecht-Haus präsentiert Filme und organisierte literarische Veranstaltungen. Das direkt am Weißen See gelegene Cafe Milchhäuschen ist retrospektiv für die DDR-Zeit nennenswert, da es noch heute wie ein Stimmungsbild aus dieser Zeit erscheint. Ursprünglich stand an dieser Stelle am Ende des 19. Jahrhunderts ein Gartenhaus-Fachwerkbau, das ab 1913 zu einer Milchverkaufsstelle wurde und dann nur wenige Jahre später zu einer beliebten Ausflugsgaststätte. Wegen Baufälligkeit wurde es 1965 abgerissen. Die große Beliebtheit bei der Bevölkerung ließ 1975 einen Neubau entstehen, der wiederum zum “Renner” für Einheimische und Besucher wurde.
Schnappschüsse aus der Vergangenheit des Dorfes Weißensee
Most machte von den wichtigsten dörflichen Gebäuden zwei architektonische Studien. Er malte sie mit brauner Tinte – eine Technik, die er in seinen Skizzenbüchern nur ausnahmsweise verwendete. Die Pfarrkirche zeigte sich zweiseitig, von der Nordwestseite gesehen. Die Kirche befindet sich auf einem Hügel über den weiter unten sichtbaren Wohnhäusern. Ein gotisches, spitzbogiges, stufenförmiges Portal führt zu ihr. Der untere, vierseitige Teil des Turms ist mit einer Terrasse ausgestattet, aus der der obere Teil des Turms, neugotisch, achteckig, “wächst”. Der Turm ist mit einem konischen Helm bedeckt. Laut J.G.A. Ludwig Helling war dieser Turm 1830 der schönste ländliche Kirchturm im Berliner Raum. Vielleicht hat die Kirche deshalb so großes Interesse geweckt.
Die gemauerte Windmühle ist ein Gebäude niederländischen Typs. Das Erdgeschoss ist von einer Veranda umgeben, die auf Holzsäulen ruht. Zwei Studien von Bäumen: Linde und weiße Pappel wurden wahrscheinlich skizziert, als Most am Ufer des Sees ruhte. Der Künstler stellte die charakteristischen Formen ihrer Kronen treu und pedantisch nach.
(Ludwig Helling Geschichtlich-statistisch-topographisches Taschenbuch von Berlin und seinen naechsten Umgebungen. H.A.W. Logier, Berlin 1830)
Was von früheren Zeiten übrig geblieben ist
Eine zeitgenössische Fotografie lässt uns sehen, wie sich die ehemalige Dorfkirche in Weißensee verändert hat. Sie zeigt auch, wie genau Mosts “Miniatur” -Zeichnung war. Das Erdgeschoss des Turms sieht nur wenig verändert aus. Die Strebepfeiler an den Seiten des Portals sind etwas anders. Über dem Erdgeschoss erhielt der Turm eine neue Ästhetik dank der Verputzung und Krönung der Wand mit einem Gesims. Die oberen Teile der Eckpfeiler wurden entfernt, ebenso wie die Terrasse und der hohe, achteckige Turm, an dessen Stelle ein mit Blech gedeckter pyramidenförmiger Helm errichtet wurde.
Kann man sagen, dass sich Weißensee vom Aschenputtel zur Prinzessin gewandelt hat? Oder vielleicht genau das Gegenteil – eine malerische, friedliche Ecke, umgeben von sich frei entfaltender Natur, ist unwiederbringlich gestorben? Auf jeden Fall verdanken wir es Most, dass ihr früheres Gesicht erhalten geblieben ist.
Als Übersetzer waren tätig: Ludwig Most (Bremervörde), Günter Müller (Erfurt), Germany
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