Als Übersetzer waren tätig: Ludwig Most (Bremervörde), Günter Müller (Erfurt), Germany
Nach der Lektüre der neuesten Folge LXXI der Opo-Geschichte von Dr. Ewa Gwiazdowska bin ich zu dem Schluss gekommen, dass das 21. Jahrhundert, zumindest was die Mode betrifft, endlich eine gute Zeit für Frauen ist. Man muss zurückblicken, um zu erkennen, wie viel man erreicht hat, oder wie viel man früheren Generationen verdankt. Heute entscheidet jeder von uns nach seinem eigenen Geschmack, seiner Stimmung und seinem Anlass, wie er sich kleidet und wie er in einer bestimmten Situation aussehen möchte. Und es ist noch gar nicht so lange her, dass die Kleidung von Frauen, aber nicht nur diese, strengen Anforderungen und Regeln unterworfen war. Sie wurde definiert und beschrieben. Nur wenige wissen, dass Most einen gemalten Modekatalog pommerscher Frauen aus dem Weizacker (in der Nähe des heutigen Pyritz) aus der Biedermeierzeit geschaffen hat. Dank seiner Skizzen, Gemälde und Notizen erhalten wir Informationen darüber, wie sich Frauen in verschiedenen gesellschaftlich wichtigen Situationen kleideten. Mädels, lasst uns frohlocken, denn zumindest in dieser Hinsicht wird uns niemand unsere Freiheit wegnehmen! [J.G.]
Dr. Ewa Gwiazdowska Pommersche Mädchenmode
Expedition LXXI
Ludwig Most gilt vor allem als Maler von Genreszenen. Er war sehr an der regionalen Kultur interessiert. In früheren Folgen dieser Serie haben wir bereits die Trachten gesehen, an die Most auf seinen Reisen nach Schlesien, Böhmen, Bayern und Tirol erinnert hat. Den größten Teil seiner Zeit widmete er jedoch der regionalen Kultur seiner näheren Umgebung – seiner pommerschen Heimat und den Gebieten westlich der Oder. Er interessierte sich besonders für die reiche Tracht der pommerschen Mädchen in der Region Pyritz (Weizacker). Professor Kurt Dröge widmete seinem Werk auf diesem Gebiet im Katalog der monografischen Ausstellung von Most im Jahr 2007 eine besondere Studie: August Ludwig Most und das Bild der Weizackertracht in: Ewa Gwiazdowska, Rafał Makała (Hrsg.), August Ludwig Most (1807-1883). Pomorski artysta epoki biedermeieru. Szczecin 2007, S. 70-99. Professor Dröge, der die Gemälde von Most studierte, kam zu dem Schluss, dass der Künstler die Tracht nicht nur beobachtete und dokumentierte, sondern auch kreativ behandelte. Er hat ein bestimmtes Muster für ein solches Kostüm entworfen.
Eine Dame wie aus einem Casting

In der Sammlung des Nationalmuseums in Stettin befindet sich eine detaillierte Studie der Pyritz-Tracht eines Mädchens, die Most im Sommer 1836 malte. Vermutlich hielt sich der Künstler zu dieser Zeit mit seiner Familie auf dem Lande in der Nähe von Pyritz auf. Most zeigt die Figur einer jungen Frau in einem festlichen, farbenprächtigen, mehrteiligen Kostüm. Er ergänzte seine Skizze mit Bleistiftnotizen, in denen er sie zusätzlich beschrieb. Diese Notizen wurden kaum lesbar, als der Hintergrund coloriert wurde. Die Frau trägt eine graublaue Bluse mit weißen Rüschen an den Ärmelenden und um den Halsausschnitt. Über der Bluse sieht man ein eng anliegendes schwarzes Mieder. Die Taille ist mit einem blauen Gürtel geschmückt. Ihre Schultern sind mit einem schwarzen, mit Blumen bestickten Schal bedeckt, der auf der Brust mit einer blauen Schleife gebunden ist. Der rote, reich gefaltete Rock mit einer breiten grünen Borte, der am Saum entlang genäht ist, reicht nicht zu tief über die Knie. Der Kopf der Frau ist mit einer weißen Leinenhaube mit Rüsche bedeckt, auf der eine schwarze Haube mit einer langen Schleife, die über den Rücken fällt, angebracht ist. Die Hände der Pyritzerin stecken in einem schwarzen Fellmuff. An den Beinen trägt sie himbeerfarbene Strümpfe, die an den Seiten mit schwarzen Stickereien verziert sind. Schwarze Hausschuhe ohne Absätze bedecken ihre Füße. Eine ähnliche Figur wurde von Most in verschiedenen Varianten mehrmals in anderen Werken über Pommern wiederholt.

Eine undatierte Skizze in einem Skizzenbuch, das pommerschen und Stettiner Motiven gewidmet ist, zeigt eine junge Pommerin in ähnlicher Pose wie in der Studie von 1836. Diese Zeichnung wurde von Most mit Beschreibungen der Farben des Kostüms ergänzt. Der Schnitt des Kostüms dieser Frau ist ähnlich, aber nicht so paradeartig. Auch seine Färbung ist etwas anders. Der Schal ist hinten spitz zulaufend und schlicht, ohne Stickerei. Das an die Mütze genähte Zierband ist recht kurz. Die vollen, flachen Pantoffeln werden vorn gebunden. Die Frau versteckt ihre Hände unter der Schürze. Aus der Beschreibung erfahren wir, dass die Mütze mit Bändern blau ist, am Hals befindet sich ein weißer Kragen auf dem Schal. Die Frau trägt einen roten Rock, der am unteren Ende mit einer grünen Borte verziert ist. Die Hausschuhe sind schwarz. Nach Angaben von Most kam die Frau aus einem Dorf im Odertal.
Die Suche nach der richtigen Pose

Eine frühere Zeichnung in demselben Skizzenbuch zeigt, wie Most nach der richtigen Pose für die Darstellung einer jungen Bäuerin aus der Gegend von Pyritz suchte, um den beabsichtigten Ausdruck zu erreichen. Zuerst drehte er sie konsequent zur Seite und lehnte sie leicht nach vorn, wobei sie den Arm ausstreckte. In der zweiten Skizze ist die Figur zu ¾ mit dem Rücken zum Maler gedreht und aufgerichtet. Sie steht fest auf leicht gespreizten Füßen und schaut geradeaus. Die Frau trägt eine blaue Haube mit lila Unterteil und längeren Enden, die bis zum Kinn reichen, sowie blaue Bänder, die im Rücken weit nach unten ragen. Ihr schwarzer Spitzschal ist auf der Rückseite mit roten Rosen bestickt. Ein schwarzes Mieder kontrastiert mit dem weißen Hemd der Bäuerin. Der Saum ihres Rocks ist mit einem blauen Patchwork-Saum verziert, und ihre Strümpfe sind ebenfalls schwarz.
Ankleiden vor einer Verabredung

Die oben erwähnte Skizze könnte mit der 1834 entstandenen Ölkomposition zusammenhängen, die heute in einer Privatsammlung aufbewahrt wird, aber besser bekannt ist durch eine grafische Reproduktion aus dem Jahr 1862 (Ewa Gwiazdowska, Rafał Makała (Hrsg.), August Ludwig Most (1807-1883). Pomorski artysta epoki biedermeieru, Szczecin 2007 (Abbildungen auf den Seiten 78 und 80). Most zeigte die Vorbereitungen einer jungen Frau für einen Tanzabend. Das Bauernmädchen zieht sich vor einem Spiegel an, beobachtet von ihren Eltern, die am hinteren Fenster sitzen. Besonders ins Auge fallend ist ein großer roter Schal, dessen Ende bis zur Taille reicht. Das blumige Muster scheint eher gedruckt als gestickt zu sein. Es handelt sich also um eine billigere, industrielle Version des Schals. Die Frau trägt eine weiße Bluse und ein schwarzes Mieder. Die äußere Kappe ist ganz blau und hat eine langes Band auf dem Rücken. Der Faltenrock ist nicht nur mit einer grünen Borte am unteren Ende, sondern auch mit vertikalen grünen schmalen Rüschen verziert. Der vordere Überrock ist himbeerfarben, die Strümpfe sind rot mit einem schwarzen Streifen und die absatzlosen Hausschuhe sind schwarz.
In einer wichtigen Rolle

Die junge Bäuerin, die die Prozession der Familien anführt, die zur Kirche gehen, um ihre Kinder taufen zu lassen, ähnelt sehr der Figur, an die in der Studie im Sommer 1836 erinnert wird. Weitere Informationen über ihre Kleidung finden sich jedoch in einer anderen Studie, die dem Gemälde vorausging und sich heute im Bestand des Nationalmuseums in Stettin befindet. Ein Ausschnitt aus dieser Studie ist auf dem Fragment abgebildet. Die Frau trägt eine schwarzes Überwurf-Tuch, eine schwarze Mütze, einen gleichfarbigen Muff und Hausschuhe. Wie Sie sehen können, war Schwarz immer noch die Farbe der Würde und des Ranges der Veranstaltung. Aus diesem Grund war die Person, die den Paten auf dem Weg zur Kirche vorausging, halb in Schwarz gekleidet. Über Jahrhunderte war schwarze Farbe zum Färben der Kleidung teuer, weshalb diese Farbe mit Reichtum und Würde assoziiert wurde. Der rote Rock und die roten Strümpfe hingegen können in diesem Fall mit einem freudigen Ereignis in Verbindung gebracht werden, so wie es sicherlich eine Taufe war.
Die Dame des Hauses in ernster Pose

Mosts Skizzenbuch enthält eine weitere interessante Studie, die sich auf seine Arbeit an dem Gemälde „Der verliebte Alte“ bezieht, das sich heute als Depositum der Bundesrepublik Deutschland in der Sammlung des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg befindet. Eine junge Frau sitzt seitlich, eine Hand auf dem Schoß, die andere auf die Tischplatte gestützt. Sie ist bekleidet mit einer Bluse mit kurzen, weiten Ärmeln, einem dunklen Mieder, einem vielfarbig längs gestreiftem Faltenrock mit breiter Borte am Saum, einem dunkelroten vorderen Überrock sowie mit himbeerfarbenen Strümpfen. Auf dem Kopf trägt sie eine blaue Haube mit Bändern vorn und hinten, an den Füßen die typischen roten Strümpfe mit schwarzem Muster und schwarze Hausschuhe ohne Absätze.
Eine Spinnerin in der Zwickmühle

Wenn wir das Gemälde „Der verliebte Alte“ betrachten, erfahren wir, dass die Frau in der Studie eine junge Spinnerin ist. Auf dem Gemälde zeigt Most sie in einem wohlhabenden Haus bei der Vorbereitung von Wollfäden. Die Frau hält in einer Hand eine Karde, ein Werkzeug zum Kämmen von Wolle. Die andere Karde liegt auf einem Tisch, auf den sich die Frau mit ihrem Ellbogen stützt. Sie hat ihre Arbeit für einen Moment unterbrochen, um über den möglichen Heiratsantrag eines älteren Mannes nachzudenken, der durch ein offenes Fenster lugt. Der Finger, der ihr Kinn berührt, und der aufmerksame Blick der Frau zeigen, dass sie unsicher ist, wie es weitergehen soll. Der blaue, reich und bunt bestickte Schal, der ihre Schultern bedeckt und an der Brust mit grünen Bändern zusammengebunden ist, deutet darauf hin, dass die junge Bäuerin den Besuch erwartet hat, auch wenn sie so tut, als sei dies ganz zwanglos. Außerdem fällt an ihrer Kleidung ein Strumpf auf, der aus rotem Stoff mit braunen Streifen genäht ist. Es ist nicht klar, wie ihr Mieder aussieht, da es von einem Schal verdeckt wird, dessen Enden um die Taille gewickelt und auf dem Rücken der Bäuerin zusammengebunden werden.
Der erste Schritt ins Erwachsensein

Die Tracht eines Mädchens im Teenageralter, das zur Konfirmation geht, einer religiösen Zeremonie, bei der ein junger Mensch in die protestantische Gemeinschaft “aufgenommen” wird, unterscheidet sich leicht von der hier beschriebenen regionalen Tracht. Dank ihrer Farben hatte sie einen besonders feierlichen und erhabenen Charakter. Sowohl das Mieder wie der Faltenrock waren schwarz. Die Manschette des Mieders war mit einer Reihe weißer Knöpfe verziert, der Saum des Rocks mit einer dunkelgrünen Borte. Das Nahtband, das den schwarzen Muff zierte, war in blauer Farbe. Anstelle einer Mütze trug das Mädchen einen Kopfschmuck aus Blumenmotiven und geflochtenen Bändern in zwei Rosatönen. Ihr weißes, mit Blumen und Pflanzenranken besticktes Tuch war auf der Brust mit einer großen grünen Schleife verziert, die durch kleine grüne Schleifen an den Ärmeln ergänzt wurde. Die Schürze war aus dünnem Leinen und hatte einen weißen Saum mit roten Aufnähern.
Kindtaufe in einer pommerschen Dorfkirche

Den Reichtum und die Vielfalt der Pyritzer-Tracht hat der Maler in einem Gemälde festgehalten, das die Taufe eines anderen Nachkommen der Familie Most dokumentiert. Die Menschen in der Kirche sind Familienmitglieder und Verwandte, die die Zeremonie begleiten. Unter ihnen sind mehrere junge Leute in traditionellen Trachten der Region Pyritz gekleidet. Wenn wir sie betrachten, sehen wir trotz der allgemeinen Ähnlichkeit verschiedene Unterschiede in der Farbe. Das neben der Mutter, die den Säugling hält, an der Altarbrüstung kniende Mädchen trägt eine rote Haube mit einem breiten blauen Band, das über den Rücken des Kindes läuft. Auf den Schultern trägt sie ein grünes Tuch mit einem Rand, der mit zwei gelben Streifen verziert ist. Die junge Frau, die hinter dem Täufling und seiner Mutter steht, trägt einen roten Schal mit einem breiten gelben Muster. Ihr Mieder ist dunkel, aber es scheint seine ursprüngliche Farbe verloren zu haben, denn es sieht dunkelbraun aus, ebenso ihre Mütze. Vermutlich waren beide schwarz. Die Manschetten des Mieders dieser Person sehen grün aus, ebenso die Schleife auf ihrer Brust. Der Schal der Frau, die neben ihr steht, ist grün und die Strümpfe sehen lila aus. Diese Farbenvielfalt zeugte von den Traditionen und Verwandlungsmöglichkeiten des Grundmusters der Pyritzer Volkstracht und spiegelte wahrscheinlich viele Bedeutungen wider, die uns heute noch ein Rätsel sind.
Der Täufling Adolf Most, ein Neffe des Malers, wurde im Oktober 1864 in der Kirche von Lüdershagen (ca. 12 km westlich von Stralsund) getauft und das betreffende Bild soll laut aller vorliegenden Berichte dieses Geschehen widerspiegeln. Das mit Ausnahme der Braut alle weiblichen Personen auf dem Bild in der Weizacker-Tracht dargestellt sind, ist bei einer Luftlinienentfernung von ca.100km zwischen Lüdershagen und Pyritz doch erstaunlich. Eine mögliche Erklärung für diese Besonderheit kann nur in Ludwig Mosts Vorliebe für diese spezielle Frauentracht gesehen werden.
Als Übersetzer waren tätig: Ludwig Most (Bremervörde), Günter Müller (Erfurt), Germany
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