Als Übersetzer waren tätig: Ludwig Most (Bremervörde), Günter Müller (Erfurt), Germany
Ich bin sehr gespannt, ob es jemanden gibt, der eine Berghütte so beschreiben würde, wie es Ludwig Most beim Wandern durch das Riesengebirge getan hat. Er tat es natürlich mit einem Bleistift. Dr. Ewa Gwiazdowska präsentierte uns in dieser Episode ihrer Opo-News mit einer Präzision, die Sherlock Holmes würdig ist, ihre Schlussfolgerungen, die sich aus der Analyse des Skizzenbuchs Nr. VII ergeben. “Most präsentierte wie üblich mit ethnographischem Flair den Innenraum mit all seinen Geräten, Menschen, Tieren, Ausrüstungen und Objekten sowie Kunstwerken” – schreibt die Expertin über das Werk des Künstlers. Dank der großartigen Arbeit von uns beiden haben wir die Möglichkeit, an Orten, die uns heute gut bekannt sind, zu erfahren, wie es früher war. [J.G.]
Dr. Ewa Gwiazdowska Most in Schlesien, Teil 1
Expedition XXXVII
Im Spätsommer 1835 unternahm Ludwig Most eine Reise nach Schlesien. Er dokumentierte diese Expedition in einem Skizzenbuch Nr. VII, das in der Sammlung des Nationalmuseums in Stettin aufbewahrt wird. Most startete am 19. August von Stettin in Richtung Königsberg/Neumark. Er kehrte über Kontopp zurück. Die letzte Aufzeichnung im Skizzenbuch datiert vom 12. September. Das Ziel des Malers war das Riesengebirge – ein Gebiet, das seit dem achtzehnten Jahrhundert, als die Tierwelt als schön galt, für einen Künstler, der Landschaft und Leute liebte, sehr anziehend war. Unterwegs bewegte sich der Künstler zu Fuß und mit verschiedenen zur Verfügung stehenden Verkehrsmitteln. Während seiner Reise skizzierte er die Natur- und Kulturlandschaft, architektonische Denkmäler, Häuser, Innenräume und Geräte sowie Menschen in regionalen Kostümen und in Arbeitskleidung. Er widmete den Ansichten des Sudetenlandes viele Zeichnungen. In dieser Episode werfen wir einen Blick auf einige Zeichnungen von Berghütten und werfen einen genaueren Blick auf das bereits bekannte Gemälde einer Berghütte.
Gastfreundliches Sprottau
Während der Reise ins Riesengebirge ging Most zu einem gastfreundlichen Haus in Sprottau. Dort wurde eine genaue Zeichnung eines großen Raumes mit gelben Wänden erstellt, der mit einer Reihe von Arkaden im linken Wandbereich und mit einer grau gestrichenen Holzbalkendecke verziert ist. In einer Ecke dieses Raumes befindet sich ein grau gestrichener Ofen, um den herum Bänke mit dekorativ gestalteten Beinen verlaufen. An den Wänden des Ofens hängen verschiedene Hüte und Kleidungsstücke und daneben ist ein Waschbecken. Auf der linken Seite des Ofens befindet sich ein Sideboard und gegenüber dem Ofen ein hoher Kleiderschrank mit Kleidung und Unterwäsche. Im Hintergrund, an der Eingangswand steht ein kleiner Tisch mit einem Krug und einem Zydel-Stuhl und darüber befindet sich ein hängender Schrank und ein Regal. Neben der Tür, die zum Vorraum führt, hängt eine hohe Uhr. Durch die offene Tür kann man die Treppe sehen, die in den ersten Stock des Hauses führt. In der linken Wand neben dem Sideboard befindet sich eine ebenfalls grau gestrichene Seitentür. Auf dem Regal über ihr zeigt Most ein weiteres Objekt. In allen Bögen an dieser Wand sind Bilder angebracht. Das Innere dieses Raumes sieht aus wie ein szenografischer Hintergrund für eine Geschichte, die wir nicht kennen. Vielleicht hat Most sie nie gemalt.Bergwanderer
Die Studie eines Wanderers, der dem Riesengebirgspfad vor dem Hintergrund der Umrisse der Berge um Schmiedeberg [Kowary] folgt, kann ein Selbstporträt von Most sein. Eine solche Annahme wird durch die allgemeine Ähnlichkeit des Profils eines wandelnden Mannes mit den eigenen Bildern des Künstlers ausgelöst. Most zeigt einen Mann mit einer schweren an Holzstangen befestigten Trage auf seinem Rücken,wie sie von Bergträgern zum Transport von Gütern verwendet wurden. Daneben beschreibt der Zeichner kurz die Kleidung, die für die Wanderung getragen wird. Es ist eine graue Jacke, gelbe Lederhose, eingelassen in das hohe Obermaterial von Lederschuhen und ein grüner Hut mit einer Feder. Ergänzt wurde das Äußere durch einen Stock und eine Pfeife mit denen der Wanderer in aller Ruhe bergauf steigt und dabei nachdenkend die Gegend betrachtet. In der Tiefe, hinter der Mauer des Tannenwaldes, liegt im Tal die Stadt Schmiedeberg. Most markierte sie nur mit einem Namen. Im Hintergrund ist ein riesiges Band sanfter Gipfel zu sehen.
Ehemalige Riesengebirgshütten
Ein typisches Element der Berglandschaften, so auch des Riesengebirges, waren Schutzhütten. Ihr Netzwerk ist seit Beginn des neunzehnten Jahrhunderts immer dichter geworden, um den Bedürfnissen einer wachsenden Zahl von Touristen gerecht zu werden. Am 29. August passierte Most unterwegs zwei derartige Hütten und dokumentierte deren Aussehen und Lage. Dies waren niedrige Gebäude mit einem rechteckigen Grundriss, die mit Satteldächern versehen waren. Sie ähnelten Landhäusern. Die gemauerte Hampelbaude (heute Strzecha Akademicka) wurde am Hangfuss gebaut. Darüber erhob sich der Kamm der Schneekoppe mit einem Steinaufschluss und dem Kessel des Kleinen Teiches, der unterhalb des Bergkamms lag. Die zweite Hütte, die sich unterhalb des Gipfels der Schneekoppe befindet, wurde aus Holzstämmen neben den Steinfundamenten des Vorgängerbaus gebaut. Sie stand an der Straße nach Krummhübel und war von einem Tannenwald umgeben.
Auf dem Weg zur Schneekoppe
Am Tag zuvor ging Most an der Peterbaude vorbei (Petrova Bouda brannte 2011 ab). Es war ein etwas größeres Gebäude, das 1790 errichtet und 1811 an dieser Stelle erweitert wurde. Das Dachgeschoss mit einer Gaubenausbildung konnte für Übernachtungen genutzt werden.
Unmittelbar an die Baude war ein Wirtschaftsanbau mit Pultdach angeschlossen. Nach den Strapazen des Kletterns ruhte sich Most in einem Unterstand am Elbwasserfall bei Spindlermühle im Sudetenland aus. Während des Moments der Entspannung war er nicht untätig, sondern skizzierte das Aussehen des Interieurs. Unter einem Dach aus Brettern, die von Stangen getragen waren, konnten sich die Wanderer auf Moosbänke setzen. Auf dem freistehenden Tisch standen Gläser und ein Krug mit Getränk.
In der Sudetenherberge
Das einzige bekannte Gemälde, das Mosts fast vierwöchige Expedition nach Schlesien krönt, gehört zu seinen typischen Kompositionen. Es präsentiert auf pedantische Weise einen Hüttenraum – das Äquivalent zu Gasthäusern im Flachland. Most stellt wie üblich, mit einem ethnographischen Flair, das Innere mit all seinen Menschen, Tieren, Geräten und Gegenständen sowie Kunstwerken dar. Das Zimmer ist ein rechteckiger Raum mit einem Boden aus Steinplatten, bunt gestrichenen Wänden und einer Balkendecke. Es wird von zwei Arkadenfenstern auf der linken Seite beleuchtet. Unter den Fenstern befindet sich ein Tisch, an den Wänden steht ein Ofen und weitere Möbel. Dazu kommen eine Vielzahl verschiedener Geräte und Gegenstände. Most arrangiert gekonnt Licht und Schatten auf dem Gemälde, um dem Innenraum eine Athmosphäre der Gemütlichkeit zu verleihen, wie es für Werke im Biedermeierstil so charakteristisch ist.
Berghütten – Gemeinschaft
Gäste und Haushaltsmitglieder des Hostels sitzen an einem gemeinsamen Tisch unter dem Fenster. Most, mit einem Bleistift in der Hand und einem vor ihm liegenden Blatt Papier, blickt auf die Umgebung. Wir sind sicher, dass uns hier ein Selbstbildnis vorliegt. Mit einem hellen Hemd, einem braunen Jacket und einem um den Hals geschlungenen weißen Schal ist er modisch gekleidet. Neben ihm sitzt ein schon leicht glatzköpfiger Mann, vielleicht ein Gefährte von Most. Er trägt ein weißes Hemd, eine blaue Weste, eine dunkle knielange Hose, weiße Strümpfe und dunkle Hausschuhe mit Schnallen. Er raucht genussvoll eine Pfeife, während er die neu angekommenen Gäste beobachtet. Vor ihm auf dem Tisch liegt seine Mahlzeit: ein Brötchen und ein Glas Bier. Unter dem Fenster sitzt eine junge Frau in einem weißen Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln und glatt gekämmten Haar mit Mittelscheitel. Gegenüber von den Männern sitzt seitlich eine etwas ältere Frau in einem dunklen Outfit. Vor ihr liegt auf dem Tisch die gleiche Mahlzeit wie bei Mosts Nebenmann. Bei ihr ist das Brötchen aber schon halb gegessen. Daneben steht ein kleines, rundes Objekt, das ein Gebäckstück sein könnte.Vor der Frau steht auf dem Boden eine Ausrüstung, die einer gefalteten Rolle ähnelt. Alle beobachten die neu angekommenen Gäste, nur Most schaut nach vorn, als stünde diese Gruppe dort. Und das ist eine Kuriosität!
Unerwartete Gäste
Die neuen Gäste blieben in der Mitte des Raumes stehen, als ob sie erwarteten, an den Tisch eingeladen zu werden, an dem fast kein Platz mehr war. Der grauhaarige ältere Herr starrt die sitzenden Menschen mit einem etwas grimmigen Gesichtsausdruck an. Er steht fest auf beiden Beinen und stützt sich zusätzlich auf einem Stock, der oben mit einer silbernen Knauf endet. Er ist recht vornehm gekleidet mit einem grauen, langen Stoffmantel und blauen Halstuch. Unter seinem Arm trägt er einen braunen Hut mit breiter Krempe und rundem Hutkopf. In der Mitte der Gruppe steht ein Mädchen im Teenageralter, die ihr Gesicht zu der nebenstehenden Dame, möglicherweise ihre Mutter, wendet. Das Mädchen trägt eine Volkstracht, bestehend aus einer weißen Bluse mit Puffs, einem Rock mit bunten, vertikalen Streifen und darüber ein Kleid mit einem roten dreieckigen Brustlatz und einem weißen Halstuch, mit weißen Strümpfen und braunen Schuhen. Ihre Haarfrisur ist ebenso gestaltet, wie bei der sitzenden jungen Frau unter dem Fenster. Die mögliche Mutter des jungen Mädchens, eine ernsthafte Matrone, starrt ebenfalls die Leute am Tisch an. Sie hält in ihren Händen hellgraue Handschuhe, trägt ein langes, grünes Blumenkleid mit einem breiten Ausschnitt, der mit Rüschen besetzt ist und einen weißen Blumenschal, der den Brustausschnitt bedeckt. Ihr Kleid ist mit einem transparenten Tüll verziert und ihre Haare sind unter einer dunkelgelben Kappe versteckt. Die braunen Schuhe der Frau sind mit einer Randverzierung versehen.
Beschäftigung der Einheimischen
Währenddessen sind zwei junge Leute, die auf der rechten Bildseite zu sehen sind, damit beschäftigt aus den Spindeln mit gesponnenem Garn mittels einer Drehhaspel Wollstränge herzustellen. Der Jüngere dreht mit einer Hand die Haspel, in der anderen Hand hält er einen fertigen Strang. Vor ihm liegen im Korb weitere Stränge. Sein älterer Begleiter steht in der Tür und sorgt für Nachschub an gesponnener Wolle. Gleichzeitig blickt er interessiert auf die Entwicklung des Geschehens zwischen den vorhandenen und den neuen Gästen.
Mitstreiter
Im Vordergrund steht in der rechten Ecke des Raumes ein geflochtener Käfig. Es ist eine Behausung von zwei Hühnern, die sich zusammen mit Kücken auf den Boden des Zimmers bewegen, um dort die feinen Essensreste auzupicken. Sie achten überhaupt nicht auf den Hund, der daneben steht. Währenddessen hebt dieser den Kopf und schnüffelt an den Gästen, während er sich gleichzeitig unterwürfig beugt.
Der Wärme spendende Ofen
In der gegenüberliegenden Ecke des Raumes, in der Nähe des Fensters, befindet sich ein zweistöckiger Ofen aus grünen Fliesen, die mit halbplastischen Figuren verziert sind. Ein Trockengerüst ist oben auf dem Herd montiert. An mehreren Stangen trocknen lange Socken, ein Handtuch, Unterwäschestücke. Daneben hängten die Gastgeber an der Wand zwischen den Fenstern ein sakrales Gemälde in einem schwarzen, profilierten Rahmen auf. Es zeigt die Madonna mit Kind. Die Form der Komposition zeigt, dass es sich um eine Kopie des Werkes eines der barocken Meister handeln könnte, die einst aus Italien mitgebracht wurde.
Sonstige Accessoires
An einer Wand des Raumes zwischen dem Herd und der Eingangstür hängt ein Regal mit zwei Reihen von dekorativen Tellern und verzierten Schalen. Es gibt Krüge, eine Schüssel, Flaschen, einen Mörser, ein Glas Marmelade, eine Zuckerdose, einen Becher und einen Kerzenständer. Das Regal ist ein bescheidenes Äquivalent zu einem Buffet in reichhaltigeren Innenräumen. Über der Eingangstür können Sie wahrscheinlich ein niederländisches Gemälde oder die Kopie eines solchen aus dem siebzehnten Jahrhundert bewundern, das an einem bewölkten Tag eine Landschaft zeigt.
Ein verwirrendes Durcheinander
Auf der rechten Seite des Raumes, in der Ecke hinter der Tür, befindet sich ein hoher, schmaler Kleiderschrank und daneben ein niedrigerer Schrank, auf dem unterschiedlichste Uttensilien abgelegt sind. Oben auf dem Schrank legte jemand einen Mantel und einen Hut ab. Auf dem kleineren Schrank lag noch ein unfertiger Brief neben einem Tintenglas mit Schreibfeder. An der Tür des Schrankes wurde ein Zeichenblatt geheftet, auf dem wohl die Kindesgeburt dargestellt ist. Die gesamte rechte Wand ist von verschiedenen Objekten besetzt. In der Arkadenaussparung hängt ein halb sichtbares Porträt und darunter ein Saiteninstrument; man kann nur seinen Greif sehen. Über der Aussparung befinden sich weiße, glänzende Porzellankrüge, die an Stiften aufgehängt sind. Daneben hängt eine Uhr mit bemaltem Zifferblatt und Gewichten.
Mosts Gemälde fungiert als Zeitmaschine. Sie führt uns direkt in das Innere einer Berghütte im Riesengebirge vor fast zweihundert Jahren. Es ist schade, dass wir es nur von einer Kopie kennen und selbst dessen Autor nicht bekannt ist. Wenn nur das Original gefunden worden wäre!
Zusätzlicher Hinweis von Günter Müller, der nicht Bestandteil des Berichtes XXXVII von von Dr. Ewa Gwiazdowska ist: Die in dem Abschnitt “Ehemalige Riesengebirgshütten” des vorgenannten Berichtes erwähnte Hampelbaude (Skizze auf Seite 4), an der Mosts Weg von der Schneekoppe nach Krummhübel vorbeiführte, war bereits damals eine der bekanntesten Berghütten des gesamten Riesengebirges, die den Besuch von vielen illustren und berühmten Gäste nachweisen konnte. Drei Jahre nach Ludwig Most war dort im Jahr 1838 unter anderm auch der Maler Ludwig Richter zu Gast, der ein Bild dieser Hütte malte. Dadurch können wir uns gut vorstellen, wie auch Most die Hampelbaude sah. Der Vergleich mit der Most-Skizze belegt das auch sehr deutlich. Das Bild von Ludwig Richter wird als ergänzende Anlage beigefügt.
Als Übersetzer waren tätig: Ludwig Most (Bremervörde), Günter Müller (Erfurt), Germany
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